Bildet Berlin! ist ein eingetragener Verein, dessen Mitglieder und Unterstützer:innen es leid sind, tatenlos zuzusehen wie sich die Qualität der schulischen Bildung in Berlin durch eine mangelhafte Ausstattung der Schulen verschlechtert. Gute Schulbildung ist der Schlüssel für Integration und Arbeit.
Von 2015 bis April 2021 waren wir vom zuständigen Finanzamt als ein gemeinnütziger Verein anerkannt. Mit einer Satzungsänderung hat der Verein im April 2021 die Eigenschaft einer politischen Partei übernommen, weshalb wir die Gemeinnützigkeit aufgeben mussten.
 

Diese Webseite dokumentiert die Tätigkeit von Bildet Berlin! in den Jahren 2012 bis 2020. Aktuelle Informationen finden Sie unter http://bildet-berlin.de .

 

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Organisation von Vertretungsunterricht an Berliner Schulen

Den Durchschnitt­werten liegen Angaben der Senatsbildungsverwaltung für die Schuljahre 2010/2011 bis 2013/2014 aus der Ant­wort auf eine parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Joschka Langenbrinck (SPD) vom 10. Dezember 2014 zugrunde, den Angaben zu im Rahmen der Personalkostenbudgetierung erteiltem Unterricht Angaben für die Kalenderjahre 2011 bis 2014. Angaben zum insgesamt zu erteilenden Unterricht sind den jeweiligen Ausgaben von „Blickpunkt Schule“ für die Schuljahre 2010/2011 bis 2012/2013 entnommen. Detaillierte Quellenangaben unten. Die Berechnungen können unter folgendem Link abgerufen und nachvollzogen werden: http://bildet-berlin.de/docs/OrganisationVertretungsunterricht2010-2014.xls


In Berlin finden jedes Jahr 2 Millionen Unterrichtsstunden nicht regulär statt. Dies entspricht 10,8% des insgesamt zu erteilenden Unterrichts. Bei einem Schuljahr mit 38 Wochen kann von 19 Schultagen oder auch 4 Schulwochen ausgegangen werden, die nicht planmäßig erteilt werden.

Von diesem Vertretungsanfall werden gut 400.000 Stunden nicht erteilt – sie fallen aus. Dies entspricht 2,1% des insgesamt zu erteilenden Unterrichts und macht somit 20% des Vertretungsanfalls aus.

Als Vertretungsunterricht weist die Senatsbildungsverwaltung 8,6% des insgesamt zu erteilenden Unterrichts aus, insgesamt ca. 1,6 Millionen Unterrichtstunden. Dies entspricht 80% des Vertretungsanfalls und erscheint zunächst relativ erfolgreich. Bei genauer Betrachtung fällt jedoch auf, dass in diesem Vertretungsunterricht in weiten Teilen entweder kein Unterricht stattfindet oder der Vertretungsunterricht zulasten von notwendigem Förder- und Teilungsunterricht geht:


Infografik aus der Berliner Morgenpost vom 23.04.2015 (S. 9)

  • Aufhebung von Teilung/Integration; Zusammenlegung von Klassen/Kursen:

    Hierbei werden planmäßiger Teilungs- und Förderunterricht, sonderpädagogischer Förder­unterricht oder Sprachförderunterricht zusammengelegt, um Unterrichtsausfall zu vermei­den, die ursprünglich vorgesehene Förderung durch Teilung findet nicht statt, sie fällt zugunsten der Durchführung von Vertretungsunterricht aus.

    Kritik
    : Gerade in Zeiten des Umsetzens der Inklusion sind Teilung- sowie Fördergruppen und damit kleinere Lerngruppen essentiell. Bei zusammengelegten Gruppen ist die notwendige individuelle Förderung kaum mehr möglich. Vertretung heißt, die Aufgabe einer anderen Person ersatzweise zu übernehmen. Diese Form der „Vertretung“ löst die notwendigen Kleingruppen sowie die Unterrichtsintention „Förderung“ auf.
  • Tagaktuelle Änderungen im Stundenplan:

    Hierbei fallen Unterrichtsstunden aus, weil die Lehrkraft zur Sicherung des Unterrichtes in einer anderen Klasse eingesetzt wird. Oder aber ein für später am Tag vorgesehener Unterricht wird vorgezogen, um eine Stunde zu vertreten. Damit fällt die vertretende Stunde jedoch aus. Sie müsste eigentlich zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden, was sich in der Praxis kaum realisieren lässt und nur in wenigen Ausnahmen tatsächlich erfolgt.

    Kritik:
    „Vertretung“ durch tagaktuelle Änderungen im Stundenplan führt in den allermeisten Fällen zu Unterrichtsausfall, der in der Regel nicht nachgeholt wird. Entweder fällt der Unterricht der vertretenden Lehrkraft aus oder es fällt der zu vertretene Unterricht aus, weil zu seiner Zeit anderer regulärer Unterricht und somit kein Ersatz für die zu vertretende Stunde stattfindet.
  • Sonstige Maßnahmen:

    Unter diese sehr allgemein benannte Kategorie fällt unter anderem „Vertretung“ durch Stellen von eigenständig zu bearbeitenden Aufgaben für Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe.  Unterricht findet hier nicht statt, denn die Lernenden erfahren keinerlei Betreuung bei der Bearbeitung der Aufgaben

    Kritik:
    Dieses Phänomen wird im Vertretungsplan als „Aufgaben erteilt“ ausgewiesen. Faktisch handelt es sich dabei um Unterrichtsausfall, auch wenn laut Senatsverwaltung hierbei kein Unterrichtausfall eintritt. Darüber hinaus legen Berichte nahe, dass an vielen Schulen nicht mal Aufgaben gestellt werden – wie soll auch eine erkrankte Lehrkraft z. B. noch sinnvolle Aufgaben für ihre Lerngruppen erarbeiten und bereitstellen? Die Markierung als Vertretung durch „sonstige Maßnahmen“ dient offenbar in erster Linie dem Ziel, die Statistik zum Unterrichts­ausfall geringer zu halten, als es den Tatsachen entspricht.

Die Rolle der Personalkostenbudgetierung:

Mit über 450.000 Stunden Unterricht im Jahr werden 2,4% des gesamten Unterrichts von im Rahmen der Personalkostenbudgetierung (PKB) befristet eingestellten Vertretungslehrern erteilt. Dies ist insofern problematisch, als dass in vielen Fächern gar keine voll ausgebildeten Lehrkräfte als Bewerber für eine auf wenige Monate befristete Einstellung zur Verfügung stehen. Dies führt dazu, dass z. B. von den 2013 im Rahmen der PKB abgeschlossenen fast 3.000 Arbeitsverträgen nur ein Drittel mit voll ausgebildeten Lehrkräften geschlossen werden konnten (vgl. parlamentarisch Anfrage 17/13 389 vom 12. März 2014). Von den 2012 beschäftigten 700 Vertretungskräften hatte fast die Hälfte nicht einmal das erste Staatsexamen (vgl. Bericht im Tagesspiegel vom  24.05.2012). Damit ist ein deutlicher Verlust in der Unterrichtsqualität zu befürchten, der den Intentionen des erst kürzlich reformierten Lehrkräfte­bildungs­gesetzes deutlich zuwider läuft.

Die den Schulen bereitgestellten Mittel zur PKB sind explizit dafür ausgewiesen, bei krankheitsbedingten Ausfällen von Lehrkräften kurzfristig Vertretungskräfte befristet einzustellen und damit den Unterricht abzusichern (vgl. Stellenausschreibung). Da die Schulen jedoch angewiesen sind, im Rahmen der PKB erteilten Unterricht nicht als Vertretungsunterricht in der Statistik zu Unterrichtsausfall und –vertretung zu erfassen, ist davon auszugehen, dass diese 450.000 Stunden Vertretungsunterricht im Jahr, die 22% des offiziellen Vertretungsanfalls ausmachen, gar nicht in den Angaben zum Vertretungsunterricht enthalten sind. Addiert man die Angaben zum Vertretungsunterricht und im Rahmen der PKB erteilten Vertretungsunterrichts, so erhöht sich der Vertretungsanfall auf 10,8% + 2,4% = 13,2% des gesamten zu erteilenden Unterrichts.

 

Fazit:

Der Vertretungsanfall liegt in Berlin um über 2% höher, als von der Senatsverwaltung ausgewiesen und damit bei 13,2%. Von 1.2 Millionen Unterrichtsstunden im Jahr werden nahezu 60% des ausgewiesenen Vertretungsunterrichts in einer Art und Weise organisiert, die mit tatsächlichem Vertretungsunterricht nicht viel gemeinsam haben. Zum Teil findet nicht mal eine Betreuung oder gar Beaufsichtigung der Schüler/innen statt, weil keine Lehrkraft anwesend ist.

Dazu Florian Bublys, Vorsitzender von Bildet Berlin! Initiative für Schulqualität e.V.:

Die Praxis der Vertretungsorganisation wirkt sich negativ auf die Bildungsziele und den Schulerfolg der Schüler/innen aus. Die Versorgung der Berliner Schüler/innen mit Fachunterricht ist zum derzeitigen Zeitpunkt nicht gewährleistet und der Berliner Senat wird seinem Bildungsauftrag nicht gerecht. Die Schüler/innen können die angestrebten Schulabschlüsse nur dann erreichen, wenn sie die notwendigen Kompetenzen zuvor im Fachunterricht erworben haben. Daneben wird mithilfe des „Vertretens“ durch die Aufhebung von notwendigen Teilungs- und Förderunterricht, sonderpädagogischem Förderunterricht oder Sprachförderunterricht die Umsetzung der Inklusion torpediert.

Wenn nur 90 % des Unterrichts in Berlin regulär erteilt werden und knapp 60% des Vertretungs­unterrichts durch das Aufheben von Förderunterricht, das Bearbeiten von „Forschungsaufgaben“ und Unterrichtsausfall organisiert wird, bedarf es einer ständigen Vertretungsreserve von 10 % an jeder Berliner Schule. Nur auf diese Weise ist eine quantitativ kontinuierliche und qualitativ fachgerechte 100%-ige Unterrichtsversorgung an Berliner Schulen zu erreichen. Die bisherige Praxis verdient den Begriff Vertretungsunterricht nicht und gefährdet einen erfolgreichen Schulabschluss unserer Schüler/innen. Bisher ist der Berliner Senat der Zusage im Koalitionsvertrag für verstärkte Anstrengungen, um Unterrichtsausfall zu vermeiden nicht nachgekommen. Im Gegenteil, Unterrichtsausfall wird in verantwortungslosem Umfang in Kauf genommen, das tatsächliche Ausmaß des Ausfalls wird der Öffentlichkeit vorenthalten und das Recht auf zukunfts­fähige Bildung aller Berliner Schüler/innen gleicht einem Schattendasein.“


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Presseberichte:


Die Tricks mit dem Unterrichtsausfall - Berliner Morgenpost, 23.04.2015

Unterrichtsausfall - Das Spiel mit der Statistik - Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.02.2015

Stundenausfall an Berlins Schulen wird schöngerechnet - Der Tagesspiegel vom 21.01.2015

Lehrermangel in Berlin - Letzte Rettung Quereinsteiger? - Deutschlandradio zur Organisation von Vertretungsunterricht an Berliner Schulen mit der 2. Vorsitzenden von Bildet Berlin! Tamara Adamzik am 24.01.2015 im , auch als Audio hörbar im Rahmen der Sendung Unternimmt Deutschland das Richtige gegen den Lehrermangel? ab 40:20

Beiträge in der Berliner Abendschau vom RBB vom 28.04. und 21.01.2015:


Quellen:
Antwort der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft auf eine parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Joschka Langenbrinck (SPD) vom 10. Dezember 2014 http://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/17/SchrAnfr/s17-15198.pdf
Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft: Blickpunkt Schule, Schuljahr 2013/2014
http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-bildung/bildungsstatistik/blickpunkt_schule_2013_14.pdf

Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft: Blickpunkt Schule, Schuljahr 2012/2013  
http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-bildung/bildungsstatistik/blickpunkt_schule_2012_13.pdf

Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft: Blickpunkt Schule, Schuljahr 2011/2012
http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-bildung/bildungsstatistik/blickpunkt_schule_2011_12.pdf

Antwort der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft auf eine parlamentarische Anfrage der Abgeordneten Joschka Langenbrinck (SPD) vom 25. September 2014: http://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/17/SchrAnfr/s17-14650.pdf

Koalitionsvereinbarung 2011-2016, S. 42. http://www.spd-berlin.de/positionen/koalitionsvereinbarung-2011-2016/

Schulgesetz für Berlin http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-bildung/rechtsvorschriften/schulgesetz.pdf

Antwort auf die schriftliche Anfrage „Lehrkräftemangel in Berlin III: Quereinsteiger-innen und PKB-Kräfte“ des Abgeordneten Martin Delius (PIRATEN) vom 12. März 2014 (17/13 389) http://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/17/SchrAnfr/s17-13389.pdf

„Lehrermangel: Senat verstärkt Kontrolle”, Beitrag im Tagesspiegel vom 24.05.2012 http://www.tagesspiegel.de/berlin/schule/vertretungskraefte-lehrermangel-senat-verstaerkt-kontrolle-/6667140.html

Stellenausschreibung zur befristeten Einstellungen von Lehrkräften in den Berliner Schuldienst im Rahmen der Personalkostenbudgetierung  http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-bildung/lehrer_werden/einstellungen/ausschreibung_budgetierung.pdf

erstellt am 20.01.2015, letzte Aktualisierung am 29.04.2015
 
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